Jüdische Sammlerinnen

In der Ausstellung wird eine Auswahl von Werken gezeigt, die einst Eigentum von jüdischen Sammlerinnen und Sammlern waren. Viele von ihnen waren visionär in der Förderung der Kunst des Impressionismus, des Postimpressionismus und der frühen Moderne in Frankreich und Deutschland.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 werden die jüdischen Sammlerinnen und Sammler verfolgt. Während einige von ihnen flüchten können, werden andere deportiert und ermordet. Die Texte erzählen die Lebensgeschichten dieser Menschen und davon, wie ihre Werke in die Sammlung Emil Bührle gelangen. Die Bilder selbst sind beschlagnahmt oder verkauft worden.
Beschlagnahmungen im besetzten Frankreich (Restituiert)
Moïse Lévi de Benzion
01 02 Benzion Department Store at Kasr El Nil street Downtown Cairo Photo by Photo Goldner Paris Egypt in 1950

Warenhaus Benzion an der Kasr El Nil Strasse, Kairo, Ägypten, 1950. Photo Goldner Paris.

Moïse Lévi de Benzion (1873–1943) war ein ägyptischer, jüdischer Immobilien- und Kaufhausbesitzer. Er leitete in Kairo das 1857 gegründete Familienunternehmen Grands Magasins Benzion. Einen Teil seines Vermögens setzte er für den Aufbau einer Sammlung von Kunstwerken sowie asiatischen und ägyptischen Antiquitäten ein. De Benzion besass eine Residenz südlich von Paris. Die Nationalsozialisten verfolgten ihn aufgrund ihrer antisemitischen Ideologie. Unter lebensbedrohlichen Umständen gelang es ihm, in Frankreichs unbesetzte Zone nach La Roche-Canillac zu flüchten, wo er 1943 verstarb.

De Benzions Sammlung verblieb in seiner Residenz. 1941 plünderte die NS-Rauborganisation «Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR)» sie. Über 1200 Kunstobjekte wurden beschlagnahmt. Camille Corots Gemälde Lesender Mönch und Alfred Sisleys Sommer bei Bougival gelangten 1941 in die Luzerner Galerie von Theodor Fischer, der sie 1942 an Emil Bührle verkaufte. Die Erben de Benzions reichten nach 1945 vor der Raubgutkammer beim Schweizer Bundesgericht Klage ein und bekamen Recht.

Bührle restituierte beide Gemälde 1948 an die Erben. 1950 erwarb er sie von diesen nochmals, nach neuer Schätzung ihres Werts. 1951 forderte Bührle von Fischer in einer Regressklage den Betrag zurück, den er beim ersten Erwerb für die Werke bezahlt hatte. Das Bundesgericht gab der Forderung statt. Es entschied, dass Bührle beim Kauf gutgläubig gehandelt hatte und er zu dem Zeitpunkt von der unrechtmässigen Herkunft der Werke keine Kenntnis gehabt haben konnte. Das Urteil ist bis heute umstritten, da Bührle 1942 von der systematischen Beraubung der jüdischen Sammlerinnen und Sammler sehr wohl wissen konnte.

Maurice de Rothschild
02 02 Maurice de Rothschild

Maurice de Rothschild, Frankreich, um 1930 © ullstein bild - Roger-Viollet / Henri Martinie

Der frühere Eigentümer des Gemäldes Der Besuch von Gerard ter Borch war der Kunstsammler und Mäzen Maurice de Rothschild (1881–1957). Er erbte es 1934 von seinem Vater Baron Edmond James de Rothschild. Er entstammte der berühmten französischen Bankiersfamilie, hatte jedoch eine politische Karriere eingeschlagen. Ab 1919 war er Abgeordneter der Nationalversammlung für die Region Hautes-Pyrénées und ab 1929 Senator und Vertreter der liberalen Demokratischen Partei im französischen Parlament.

1940 entzog die mit dem NS-Regime kollaborierende Vichy-Regierung den de Rothschilds die französische Staatsbürgerschaft. Sie mussten flüchten und wurden dabei unterstützt vom portugiesischen Konsul in Bordeaux. Dieser stellte rund 30’000 Flüchtenden, darunter 10’000 Juden, trotz des Einreisestopps Visa aus. Die de Rothschilds gelangten so über Portugal und Schottland in die Schweiz, wo sie sich in der Nähe von Genf niederliessen.

1943 wurde das Gemälde ter Borchs für das von Adolf Hitler geplante «Führermuseum» in Linz konfisziert. 1937 hatte dieser dafür den sogenannten «Führervorbehalt» erlassen, um Zugriff auf Werke zu erhalten, die aus politischen und rassistischen Motiven verfolgten Personen geraubt worden waren. Nach dem Ende des Kriegs in Europa im Mai 1945 stellten die Alliierten das Bild ter Borchs sicher und brachten es in den Münchner Central Collecting Point. Von dieser Kunstsammelstelle aus wurde es nach Frankreich überführt, um am 27. März 1946 an Maurice de Rothschild restituiert zu werden.

In den Folgejahren wurde das Werk unter regulären Bedingungen verkauft und gelangte über mehrere Galerien in New York und London 1955 in den Besitz von Emil Bührle.

Alphonse Kann

Der in Wien geborene Alphonse Kann (1870–1948), Sohn einer jüdischen Bankiersfamilie, wuchs in Paris auf und freundete sich früh mit Künstlern wie Maurice Denis, Paul Sérusier oder Édouard Vuillard an. Er bewegte sich auch in Sammlerkreisen und begann, selbst eine Sammlung aufzubauen. Er unterstützte die 1935 von dem Kunsthändler Daniel-Henry Kahnweiler ins Leben gerufene Kaufgemeinschaft, die Künstler finanziell unterstützte. Da die Misshandlung, Demütigung und Entrechtung von Juden vor allem im benachbarten Deutschland, aber auch in Frankreich stetig zunahm, flüchtete Kann 1938 von Paris nach London, wo er die britische Staatsbürgerschaft erhielt.

1941 beschlagnahmte die NS-Rauborganisation «Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR)» 1802 Werke aus Kanns Haus bei Paris. Edgar Degas’ Gemälde Madame Camus am Klavier und Tänzerinnen im Foyer sowie Édouard Manets Die Toilette gelangten 1941 und 1942 in die Luzerner Galerie von Theodor Fischer. Emil Bührle erwarb sie dort, Madame Camus am Klavier für 120’000, Tänzerinnen im Foyer für 65’000 und Die Toilette für 35’000 Franken.

Kann reichte nach 1945 vor der Raubgutkammer beim Schweizer Bundesgericht Klage ein und bekam Recht. 1948 restituierte Bührle die drei Gemälde an Kann, zwei Monate vor dessen Tod. Seine Erben einigten sich Anfang 1951 auf den erneuten Verkauf der Werke an Bührle, der sie für 24’000 Britische Pfund (rund 290’000 Franken) erwarb. Bührle forderte seinerseits 1951 von Fischer in einer Regressklage den Betrag zurück, den er für die Werke bezahlt hatte. Das Bundesgericht gab der Forderung statt. Es entschied, dass Bührle beim Kauf gutgläubig gehandelt hatte und er zu dem Zeitpunkt von der unrechtmässigen Herkunft der Werke keine Kenntnis gehabt haben konnte.

Das Urteil ist bis heute umstritten, da Bührle 1942 von der systematischen Beraubung der jüdischen Sammlerinnen und Sammler sehr wohl wissen konnte.

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Alphonse Kann an seinem Schreibtisch in Paris, 1930er-Jahre, abgebildet in: Oeuvres volées, destins brisés. L‘histoire des collections juives pillées par les nazis, hg. von Melissa Müller, Monika Tatzkow, Marc Masurovsky, 2013, éditions Beaux-Arts, archives Alphonse Kann.

Paul Rosenberg
01 06 Paul Rosenberg in seiner Pariser Galerie vor 1914 b

Paul Rosenberg in seinem Arbeitszimmer, 21, rue de La Boétie, Paris, 1920er-Jahre. Museum of Modern Art (MoMA), New York, Rosenberg Family Collection. Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florenz

Paul Rosenberg (1881–1959) war einer der bedeutendsten Galeristen des 20. Jahrhunderts. Er förderte junge Künstlerinnen und Künstler wie Pablo Picasso, Marie Laurencin, Georges Braque oder Henri Matisse.

1908 gründete er eine Galerie in Paris. Rosenbergs Einfluss reichte über den Atlantik hinaus. So war er etwa mit Alfred H. Barr, dem Direktor des Museum of Modern Art in New York, eng verbunden. Rosenberg war Jude und flüchtete 1940 aufgrund der NS-Verfolgung und der damit verbundenen Lebensbedrohung von Paris nach New York, wo er seine Galerie neu aufbauen konnte. Er vermittelte bis zu seinem Tod Werke auch an europäische Sammlerinnen und Sammler, darunter an Emil Bührle.

Das Gemälde Vor dem Start von Edgar Degas hatte Rosenberg 1924 geerbt, Das lesende Mädchen von Camille Corot 1939 erworben. 1941 beschlagnahmte die NS-Rauborganisation «Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR)» — geleitet von NSDAP-Ideologe Alfred Rosenberg — den in Europa verbliebenen Teil der Galeriebestände Rosenbergs. Die Werke gingen im Tausch an den Luzerner Galeristen Theodor Fischer, von dem Bührle sie 1942 erwarb. Rosenberg reichte nach 1945 vor der Raubgutkammer beim Schweizer Bundesgericht Klage ein und bekam Recht.

1948 restituierte Bührle die Gemälde. Wenige Wochen danach einigte er sich mit Rosenberg auf einen Neukauf von Corots Gemälde, im Folgejahr konnte er auch das Bild von Degas zurückerwerben. 1951 forderte er von Fischer in einer Regressklage den Betrag zurück, den er beim ersten Erwerb der Werke bezahlt hatte. Das Bundesgericht gab der Forderung statt. Es entschied, dass Bührle beim Kauf gutgläubig gehandelt hatte und er zu dem Zeitpunkt von der unrechtmässigen Herkunft der Werke keine Kenntnis gehabt haben konnte.

Das Urteil ist bis heute umstritten, da Bührle 1942 von der systematischen Beraubung der jüdischen Sammlerinnen und Sammler sehr wohl wissen konnte.

Beschlagnahmung in Deutschland (Restituiert)
Siegfried Lämmle
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Siegfried Lämmle in seiner Kunst- und Antiquitätenhandlung im Almeida-Palais, München. Archiv des Münchner Stadtmuseums

Der Kunsthändler und Sammler Siegfried Lämmle (1863–1953) gründete 1894 in München eine Kunst- und Antiquitätenhandlung, die sich auf mittelalterliche Skulpturen, Gemälde, Grafiken, Textilien und Kunsthandwerk spezialisierte. 1928 trat sein Sohn Walter Lämmle (1902–1996) ins Geschäft ein.

Beide mussten wie alle Kunstschaffenden und Kunsthandelnden der «Reichskammer der bildenden Künste» des NS-Regimes beitreten, um weiter tätig sein zu dürfen. Aufgrund von Antisemitismus wurden sie als Juden kurz darauf wieder ausgeschlossen. Im Herbst 1936 mussten sie darum die Kunsthandlung auflösen und ihre Werke weit unter Wert verkaufen. Siegfried Lämmle und seine Ehefrau Betty flüchteten im September 1938 vor der zunehmenden antisemitischen Unterdrückung in Deutschland in die USA. Sie liessen sich in Los Angeles nieder. Mit ihrem Sohn eröffnete Siegfried dort die Laemmle Gallery.

1938 konfiszierte die Münchner «Gestapo» mehrere Skulpturen der Lämmles in München und verkaufte sie 1941 an das Bayerische Nationalmuseum. Zu diesen Skulpturen zählte auch der Steiermärkische Heilige Ritter und zwei weitere Werke, die heute zur Sammlung Bührle gehören. Im März 1950 wurden sie an Lämmle restituiert. Siegfried Lämmle verstarb 1953, sein Sohn übernahm die Galerie.

1955 erwarb Bührle über die Vermittlung des Luzerner Kunsthändlers Henri Heilbronner insgesamt fünf mittelalterliche Skulpturen aus dem Nachlass Siegfried Lämmles.

Verkauf in den USA
Berthold und Martha Nothmann

Berthold (1865–1942) und Martha Nothmann (1874–1967) erwarben Paul Cézannes Landschaft um 1926/27. Berthold Nothmann war Direktor der Huldschinsky Röhrenwerke in Gleiwitz (heute Gliwice, Polen) und nach dem Ersten Weltkrieg Generaldirektor der Oberschlesischen Stahlwerksgesellschaft. Sein Erfolg ermöglichte es ihm, eine Sammlung deutscher und französischer Kunst aufzubauen. Nach seiner Pensionierung 1931 zog das Ehepaar Nothmann nach Berlin-Wannsee. Hier blieben sie auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten bis um 1938/39.

Aufgrund der NS-Verfolgung und der Lebensbedrohung flüchteten sie schliesslich nach London. Um die Reise und die dem NS-Regime abzugeltende «Reichsfluchtsteuer» und die «Judenvermögensabgabe» aufbringen zu können, verkauften sie einen Teil ihrer Sammlung. Einige Werke konnten sie mitnehmen und im Exil von deren Verkauf leben.

Berthold Nothmann verstarb 1942 in London, Martha erreichte noch während des Kriegs die USA. 1947 bot sie dem Winterthurer Sammler Oskar Reinhart Gemälde aus der Sammlung an und schrieb: «Entschuldigen Sie bitte, dass ich so direkt an Sie zu schreiben wage, aber die Zeiten sind so hart, wir hatten uns unser Lebensende auch einmal anders vorgestellt.» Cézannes Landschaft aus der Sammlung Martha Nothmanns kaufte im Sommer 1947 der Kunsthändler Fritz Nathan in New York. Er verkaufte es sodann nicht and den Winterthurer Sammler Oskar Reinhart wie Martha Nothmann vermutete, sondern an Emil Bührle.

Inwieweit dieser Verkauf als NS-verfolgungsbedingter Entzug zu werten ist, wird im Zuge der neuen Strategie für Provenienzforschung am Kunsthaus Zürich, die auch die Sammlung Emil Bührle einschliesst, zu beurteilen sein. Der Grund für den Verkauf war unzweifelhaft die Verfolgungs- und Beraubungspolitik des NS-Staats. Doch der Eigentumswechsel hat in einem nicht vom nationalsozialistischen Deutschland besetzten oder in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkten Land und erst nach dem Kriegsende 1945 stattgefunden.

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Karteikarte von Martha Nothmann vom 5. Dezember 1939, ausgestellt in Grossbritannien, in der bestätigt wird, dass sie – obwohl aufgrund ihrer deutschen Herkunft eigentlich «feindliche Ausländerin» – als Flüchtling von der Internierung befreit ist.

Verkäufe in der Schweiz
Walter Feilchenfeldt und Marianne Breslauer

Der Kunsthändler Walter Feilchenfeldt (1894–1953) war seit 1919 im Kunstsalon von Paul Cassirer in Berlin tätig. Nach dessen Tod 1926 übernahm er die Leitung der Galerie, die Künstler des Nachimpressionismus und der europäischen Moderne vermittelte. Aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der zunehmenden Gefahrenlage für Jüdinnen und Juden flüchtete er im November 1933 nach Amsterdam, wo er die dortige Filiale des Kunstsalons Paul Cassirer aktivierte. 1936 heiratete er Marianne Breslauer (1909–2001).

Das Ehepaar hielt sich bei Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 in der Schweiz auf und konnte nicht in die Niederlande zurückkehren. Feilchenfeldt bekam eine Aufenthalts-, aber keine Arbeitsbewilligung für die Schweiz. Nur durch Vermittlung, etwa von Fritz Nathan in St. Gallen, war es ihm möglich, Bilder in der Schweiz zu verkaufen.

Das Gemälde Der alte Turm von Vincent van Gogh war seit 1930 im Bestand der Galerie Paul Cassirer. Es war von Feilchenfeldt vor dem Zweiten Weltkrieg in die Schweiz ausgelagert worden. Im April 1942 erwarb es Fritz Nathan für 12’000 Franken. Drei Jahre später verkaufte er es für 20’000 Franken an Emil Bührle. Auch Henri de Toulouse-Lautrecs Porträt Georges-Henri Manuel war seit 1930 im Bestand von Cassirers Galerie. Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten brachte Feilchenfeldt es in die Schweiz, wo es von Mai bis August 1933 im Kunsthaus Zürich ausgestellt wurde. Bis 1940 war es auch ausserhalb des NS-Machtbereichs zu sehen, so in Ausstellungen in Rotterdam, Bern, New York, London, Amsterdam und St. Gallen.

Als Feilchenfeldt 1942 seine finanziellen Ressourcen erschöpft sah, verkaufte Nathan das Gemälde in seinem Auftrag. Von den 45’000 Franken, die Bührle ihm zahlte, erhielt Feilchenfeldt 42’000 Franken.

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat am 14. Juni 2024 angekündigt, für diese Werke mit der Erbenvertretung faire und gerechte Lösungen zu suchen.

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Marianne Feilchenfeldt-Breslauer und Walter Feilchenfeldt vor dem Hotel St. Peter, Zürich, 1939/40. Paul Cassirer-Archiv, Zürich.

Richard und Clara Semmel, geb. Bruck
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Clara und Richard Semmel © privat

Das Gemälde Die Strasse von Paul Gauguin stammt aus der Sammlung des Berliner Textilunternehmers Richard Semmel (1875–1950). Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 flüchtete Semmel aufgrund der Judenverfolgung und seiner engen Bindung an die Deutsche Demokratische Partei mit seiner Frau Clara Cäcilie (geb. Bruck, 1879–1945) in die Niederlande.

Seine Fabrik in Berlin wurde als jüdisches Unternehmen boykottiert. Um sie zu halten, benötigte Richard Semmel Kapital. Deshalb liess er in Amsterdam einen Grossteil seiner aus Deutschland ausgeführten Kunstsammlung an zwei Auktionen im Juni und November 1933 bei Frederik Muller & Co. versteigern. Gauguins Gemälde wurde im Juni 1933 angeboten, fand jedoch keinen Käufer.

Vier Jahre später, im März 1937 wurde es in Genf an einer Auktion der Galerie Max Moos angeboten, wo Emil Bührle es für 9000 Franken erwarb. Als Verkäufer war «R.S., Amsterdam» angegeben, ein in der Kunstwelt bekanntes Kürzel für die Werke aus der Sammlung Richard Semmels. Bisher konnte nicht gekläre werden, ob Semmel einen Verkaufserlös erhalten hatte und wie hoch dieser war.

Im Frühjahr 1940, unmittelbar vor der Besetzung der Niederlande durch die Nationalsozialisten, flüchteten Richard und Clara Semmel über Chile nach New York. Dort wurden sie von Freunden finanziell unterstützt, lebten aber unter ärmlichen Bedingungen. Clara Semmel starb am 30. Mai 1945 in New York.

Richard Semmel bemühte sich in seinen letzten Lebensjahren um den Verbleib seiner Kunstwerke und die Rückgabe der Villa in Berlin. Er starb am 2. Dezember 1950 in New York.

Die Erben von Richard Semmel konnten seit den 1990er-Jahren in Grossbritannien, Australien, den USA, Deutschland und der Schweiz erfolgreich Ansprüche geltend machen. Die Niederländische Restitutionskommission entschied zwischen 2009 und 2021 in mehreren Empfehlungen, dass die Kunstsammlung aufgrund von Richard Semmels Verfolgung durch die Nationalsozialisten verkauft werden musste und empfahl in Teilen die Rückgabe der Kunstwerke oder eine finanzielle Kompensation.

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat am 14. Juni 2024 angekündigt, für diese Werke mit der Erbenvertretung faire und gerechte Lösungen zu suchen.

Hugo und Martha Nathan

Der Frankfurter Bankier Hugo Nathan (1861–1922) war aufgrund seiner Position als Direktor der Deutschen Bank und seiner Rolle als Kunstsammler, der Salons für kunstaffine Kreise veranstaltete, bekannt. Das Gemälde Das Nachtessen von Claude Monet gelangte 1912 in seine Sammlung.

Nach seinem Tod erbte seine Frau Martha (1874–1958) die Kunstsammlung. Sie stammte aus der jüdischen Bankiersfamilie Dreyfus-Jeidels in Frankfurt, deren Firma die Nationalsozialisten 1938 zwangsliquidierten. Martha Nathan war 1937 nach Paris geflüchtet, wo sie die französische Staatsbürgerschaft erhielt.

1938 musste sie ihre Villa in Frankfurt verkaufen, erhielt von den nationalsozialistischen Behörden aber nur die Hälfte des Verkehrswerts. Sie war gezwungen, dem Städelschen Kunstinstitut sechs Gemälde zu geben und die «Reichsfluchtsteuer» zu zahlen. 1939 liess sie sich in Genf nieder, wo sie bis zu ihrem Tod lebte.

Nach Kriegsende forderte sie erfolgreich Entschädigungen für ihre geraubten Vermögenswerte in Deutschland und Frankreich. Einen Teil der Werke hatte sie bereits 1930 in der Kunsthalle Basel untergebracht. Aus diesem Bestand wurde Das Nachtessen 1944 in der Zürcher Galerie Aktuaryus gezeigt, wo Emil Bührle es erwarb. Restitutionsforderungen der Erben Martha Nathans für Werke, die ebenfalls in der Schweiz gelagert wurden und später in die Sammlungen zweier US-amerikanischer Museen gelangten, wurden 2006 und 2007 rechtskräftig abgelehnt. Deren Ausfuhr vor 1933 und die Veräusserung ausserhalb des NS-Machtbereichs waren für das Urteil entscheidend.

Inwieweit der Verkauf in der Schweiz als NS-verfolgungsbedingter Entzug gewertet werden kann, wird im Zuge der neuen Strategie für Provenienzforschung am Kunsthaus Zürich, die auch die Sammlung Emil Bührle einschliesst, zu beurteilen sein.

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Martha und Hugo Nathan. Quelle: David J. Rowland, «Nazi Looted Art Commissions After the 1999 Washington Conference: Comparing the European and American Experience», in: Kunst und Recht Jg. 15, 2013, Nr. 3/4, S. 87

Franz, Kurt und Lisbeth Ullstein
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Franz Ullstein, 1932 © ullstein bild - Suse Byk.

Franz Ullstein (1868–1945) war einer der fünf Söhne Leopold Ullsteins, dem Gründer des Ullstein Verlags. Er leitete die Zeitungsredaktionen. Das Berliner Zeitungsimperium versuchte über Jahre, den Nationalsozialismus publizistisch zu bekämpfen. Aufgrund der antisemitischen Ideologie wurde der Verlag der Ullsteins, die Juden waren, 1934 zwangsveräussert. Die Brüder Franz und Rudolf waren noch vor dem Krieg gezwungen, unter Verlust eines Grossteils ihres Vermögens zu flüchten. Die Familie geriet in finanzielle Not und erlangte erst 1952 eine teilweise Restitution des Verlags und ihrer Liegenschaften.

Seit 1930 war Franz Ullstein im Besitz der Gemälde Der Bildhauer Louis-Joseph Lebœuf von Gustave Courbet und Monets Garten in Giverny von Claude Monet. Lebœufs Porträt schickte er 1935 zu einer Ausstellung an das Kunsthaus Zürich, wo es vorerst blieb. 1936 ging es auf den Sohn Kurt (1907–2003) über und 1939 auf dessen Schwester Lisbeth Malek-Ullstein (1905–2001). Damals war diese bereits im neutralen Portugal, wo sie bis 1941 blieb. Sie flüchtete weiter in die USA, wo sie bis zu ihrem Tod lebte.

1941 war das Gemälde nach Genf geschickt worden, wo sich seine Spur verliert. Zu welchem Preis es verkauft wurde und ob die Ullsteins den Verkaufserlös erhielten, ist nicht geklärt. 1942 tauchte das Werk bei dem St. Galler Galeristen Fritz Nathan auf, der es für 26’000 Franken an Emil Bührle verkaufte.

Monets Garten in Giverny versuchte Franz Ullstein 1936 und 1941 erfolglos zu veräussern. Erst im März 1941 verkaufte es der Zürcher Galerist Tony Aktuaryus für 16’800 Franken an Bührle. Auch hier ist nicht bekannt, ob Ullstein den Verkaufserlös erhalten hat.

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat am 14. Juni 2024 angekündigt, für diese Werke mit der Erbenvertretung faire und gerechte Lösungen zu suchen.

Max und Hans Erich Emden

Max Emden (1874–1940) kaufte Claude Monets Mohnblumenfeld bei Vétheuil zwischen 1928 und 1930 bei der Münchner Galerie Caspari. Der Hamburger Unternehmer hatte das familiäre Textilhandelsunternehmen ab 1904 international zum Erfolg geführt. 1927 erwarb er die Brissago-Inseln im Lago Maggiore im Tessin, liess sich eine Villa errichten und sandte auch einen Teil seiner Kunstsammlung dorthin.

Im Zuge der Übersiedlung in die Schweiz verkaufte Emden zwischen 1927 und 1928 einen Grossteil seiner Beteiligungen an Kaufhäusern in Deutschland, behielt aber die Betriebe in Budapest und Stockholm. Er bündelte seine Grundstücksbeteiligungen in der 1944 von den deutschen Behörden zwangsliquidierten Firma M. J. Emden & Söhne. Die historischen Quellen geben keinen Aufschluss darüber, ob sein Gesamtvermögen mit der Wirtschaftskrise von 1929 beeinträchtigt wurde. 1931 verkaufte er in Berlin Werke aus seiner Sammlung, die keine Verwendung in der Villa im Tessin fanden.

Als gebürtiger Jude wurde er trotz christlicher Taufe und Einbürgerung in der Schweiz 1934 von den Nationalsozialisten verfolgt, entrechtet und vollständig enteignet.

Sein Sohn Hans Erich (1911–2001) erbte nach seinem Tod 1940 das in der Schweiz befindliche Vermögen, das im Wesentlichen aus den Brissago-Inseln und seiner Villa inklusive deren Interieur bestand.

Für die Schweiz erhielt er weder eine dauerhafte Aufenthaltsbewilligung, noch eine Arbeitserlaubnis. Noch 1940 entzog Deutschland ihm als Jude die Staatsbürgerschaft. Aus diesen Gründen flüchtete er 1941 auf Umwegen nach Chile, wo er nach seiner Mutter die Staatsbürgerschaft erhielt.

Vor seiner Flucht hatte er den Kunsthändler Walter Feilchenfeldt beauftragt, das Gemälde von Monet zu verkaufen. So gelangte dieses zum Kunsthändler Fritz Nathan. Von ihm erwarb es Emil Bührle für 35'000 Franken.

Bis heute ist umstritten, ob es sich bei dem Verkauf Emdens um eine «klassische» Liquidierung des väterlichen Nachlasses gehandelt hat, oder ob er sich als Jude aufgrund der Verfolgung durch die Nationalsozialisten in einer Zwangslage befand und das Werk zur Finanzierung seiner Flucht veräussern musste.

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Max Emden auf der Terrasse der Villa auf den Brissago-Inseln, März 1930. © Privatarchiv Familie Emden

Irène Cahen d'Anvers

Hier sehen sie Irène Cahen d'Anvers (Die kleine Irene) von Pierre-Auguste Renoir, das Bildnis eines jungen Mädchens, das von vielen als Meisterwerk angesehen wird. Es entsteht 1880 im Auftrag der angesehenen jüdischen Familie Cahen d'Anvers. später wird es von den Nationalsozialisten geraubt und nach dem Krieg restituiert. 1949 erwirbt Emil Bührle es für seine Sammlung.

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Pierre-Auguste Renoir, Irène Cahen d'Anvers (La Petite Irène), 1880, Sammlung Emil Bührle, Dauerleihgabe im Kunsthaus Zürich

Der Auftrag

Das Mädchen, das wir sehen, ist Irène Cahen d'Anvers (1872-1963), Ihre Mutter, Louise Cahen d'Anvers, gibt das Porträt bei dem noch unbekannten Maler Pierre-Auguste Renoir in Auftrag. Der Auftraggeberin gefällt das Werk allerdings nicht, und sie lässt es in den Personalräumen ihres Hauses aufhängen. Schon beim Salon 19S1 in Paris wird es von Kunstkritikern jedoch sehr lobend beschrieben. Heute gilt es als eines der schönsten Porträts des Künstlers.

Der Künstler

Pierre-Auguste Renoir lebt, wie viele andere impressionistische Künstler, lange Zeit in Armut. Niemand will seine Bilder kaufen. Ein paar Freunde aus der Pariser Gesellschaft verhelfen ihm dann zu Aufträgen für Porträts – zum Beispiel von Irène Cahen d’Anvers. So wird er bekannt und ist heute einer der berühmtesten Künstler seiner Zeit.

Die Porträtierte

Die junge Irène blickt erwartungsvoll auf einen Ort ausserhalb des Bildes - auf ihre Zukunft? 1891 heiratet sie den jüdischen Bankier Moïse de Camondo und bekommt zwei Kinder. Sie verlässt ihren Mann für ihren Geliebten Carlo Sampieri und heiratet den italienischen Adligen in zweiter Ehe. Ihre Tochter aus erster Ehe, Béatrice, heiratet den Komponisten Léon Reinach. 1933 erhält diese das Bild als Geschenk von ihrer Grossmutter Louise.

Der Kunstraub

1941 wird das Gemälde von der NS-Rauborganisation «Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg {ERR)» beschlagnahmt. Das Bild wird Hermann Göring übergeben, «Reichsminister» und Oberbefehlshaber der Luftwaffe. Dieser tauscht es beim Kunsthändler Gustav Rochlitz gegen ein florentinisches Tondo ein. 1942 werden Béatrice Reinach, ihr Mann und die beiden Kinder Fanny und Bertrand verhaftet. Alle vier werden in Auschwitz ermordet.

Nach der deutschen Kapitulation im Mai.1945 wird das Bild von den Alliierten in Berlin aufgefunden und seiner Besitzerin zurückgegeben. Erbin der Familie Reinach ist Gräfin Irène Sampieri (geb. Cahen d'Anvers), Renoirs Modell, Mutter, Schwiegermutter und Grossmutter der ermordeten Béatrice, Léon, Fanny und Bertrand Reinach. 1949 verkauft Irène Sampieri das restituierte Werk über die Vermittlung des Schweizer Künstlers Werner Feuz an Emil Bührle.

Das von Vielen geliebte Gemälde ist bis zum heutigen Tag mit tiefgreifendem Leid, mit Verlust, Tod und Trauer verbunden.

Max Silberberg
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Max Silberberg, undatiert, publiziert in: Die Dame, Nr. 16, 1930, S. 12-17 © ullstein bild – Fotografisches Atelier Ullstein

Max Silberberg (1878–1942) war Unternehmer und Kunstliebhaber Seine Sammlung umfasste in den 1920er-Jahren rund 250 Gemälde, Zeichnungen und Plastiken. Silberberg wurde 1930 von der Berliner Presse zu den vier Kunstsammlern gezählt, «die man in aller Welt kennt».

Das Gemälde La Sultane von Édouard Manet befand sich ab 1928 im Eigentum von Max Silberberg. Als Folge der Weltwirtschaftskrise verkaufte er 1932 in Paris einen Teil seiner französischen Werke, nicht jedoch La Sultane. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 veränderte die Lebensumstände der jüdischen Bevölkerung, zu der Silberberg gehörte, grundlegend. Die diskriminierenden Massnahmen und zu entrichtenden Steuern liessen die Familie Silberberg verarmen. Sie war gezwungen, Teile der Kunstsammlung zu veräussern. Andere Teile wurden von den Nationalsozialisten geraubt oder verpfändet. Silberberg musste seine Villa an den SS-Sicherheitsdienst verkaufen, seine Firma wurde zwangsliquidiert. 1942 deportierten die Nationalsozialisten Max und Johanna Silberberg und ermordeten sie im Konzentrationslager; ihr Sohn Alfred flüchtete 1939 mit seiner Frau Gerta nach Grossbritannien.

Das Gemälde La Sultane befand sich wohl bereits vor 1933 in der Pariser Galerie Paul Rosenberg, also ausserhalb des NS-Machtbereichs. Der Kunsthändler Rosenberg erwarb es 1937 für 17’800 US-Dollar von Max Silberberg und sandte es 1939 nach New York. Rosenberg, selbst Jude, musste ebenfalls flüchten und gelangte 1940 in die USA. Emil Bührle erwarb das Bild von Paul Rosenberg im September 1953 in New York für 58’500 US-Dollar.