Provenienzforschung

Die Aufgabe der Provenienzforschung ist es, die historischen Erwerbsumstände von Kunstwerken aufzuarbeiten: Wer hat welches Werk wann und unter welchen Umständen gekauft? Kunstwerke, die während der Zeit des Nationalsozialismus einen Besitzerwechsel erfuhren, stehen dabei im Fokus. Doch wie wird Provenienzforschung betrieben und was sind ihre Ziele? Wie hat sich die Provenienzforschung in der Schweiz entwickelt? Was beinhaltet die am Kunsthaus Zürich 2023 verabschiedete Provenienzstrategie?

Als Beispiel dient das Gemälde La Sultane von Édouard Manet, das einst Max Silberberg (1878–1942), Unternehmer in Breslau, Deutschland (heute Wroclaw, Polen), gehörte. Als Jude wurde er von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet. Er verkaufte das Bild 1937 im noch nicht besetzten Paris ausserhalb des NS-Macht-bereichs. Bührle erwarb es 1953.

Silberbergs Verkauf im Jahr 1937 wirft zentrale Fragen der aktuellen, international geführten Debatte über NS-Raubkunst auf, die die Verkäufe durch verfolgte Sammlerinnen und Sammler zwischen 1933 und 1945 ausserhalb des NS-Machtbereichs betreffen. Hier zeigen wir die Ergebnisse der Provenienzforschung der Stiftung Sammlung E. G. Bührle (Stand April 2023).

Sultane

Édouard Manet, La Sultane, ca. 1871, Sammlung Emil Bührle, Dauerleihgabe im Kunsthaus Zürich

Max Silberberg cropped

Max Silberberg, undatiert, publiziert in: Die Dame, Nr. 16, 1930, S. 12-17 © ullstein bild – Fotografisches Atelier Ullstein

Ein Diskussionsfall:

Möglicher Zwangsverkauf 1937?

Der Verkauf des Gemäldes La Sultane in Paris im Jahr 1937 wirft zentrale Fragen der aktuellen, international geführten Debatte über NS-Raubkunst auf: Das Gemälde wurde nicht in NS-Deutschland beschlagnahmt, sondern in Frankreich verkauft, bevor das Land von den Deutschen besetzt wurde. Der Verkauf fand also ausserhalb des NS-Machtbereichs statt, aber der jüdische Eigentümer des Werks war ab 1933 durch das NS-Regime verfolgt worden. Daher gilt es zu klären, ob der Verkauf im Sinne der Erklärung von Terezín nicht doch als NS-verfolgungsbedingter Entzug einzustufen ist.

Seit den 1990er-Jahren sind diverse Werke aus öffentlichen und privaten Museen in Europa und den USA an die Erben von Max Silberberg restituiert worden. Es handelt sich dabei vor allem um Werke, die 1935 an Zwangsauktionen in Berlin erstanden oder danach von den NS-Behörden beschlagnahmt und verkauft worden sind. Zwischen den Erbenvertretern von Silberberg und der Stiftung Sammlung E. G. Bührle ist aktuell strittig, wie der Fall zu beurteilen ist. Ist der Verkauf des hier präsentierten Gemäldes La Sultane im nicht besetzten Paris 1937 als «NS-verfolgungsbedingter Entzug» zu bewerten? Hatte der Sammler Max Silberberg, der sich in NS-Deutschland befand, also nicht ausserhalb des NS-Machtbereichs, den Verkaufserlös erhalten und konnte er frei darüber verfügen?

Gegenwärtig überprüft der Historiker Raphael Gross unabhängig die Ergebnisse der Provenienzforschung der Stiftung. Welche Werke überprüft werden, ist nicht bekannt. Die Ergebnisse werden im Sommer 2024 erwartet und in dieser Ausstellung sichtbar gemacht.